Essigsäure gehört zu den flüchtigen organischen Verbindungen (VOC), die aus Holz und Holzwerkstoffen ausdünsten können. Im Rahmen der eco-INSTITUT-Label-Zertifizierung wird Essigsäure bei der Emissionsmessung miterfasst und streng bewertet. Weil es in der Vergangenheit gelegentlich zu geringfügigen produkttypischen Überschreitungen des Anforderungswerts durch Essigsäure-Emissionen kam, hat das eco-INSTITUT die Substanz nun neu bewertet und seine Kriterien angepasst.
Essigsäure ist eine Substanz, die natürlicherweise in der Umwelt vorkommt, aber oft auch in den eigenen vier Wänden zu finden ist. In höheren Konzentrationen hat sie einen stechenden Geruch. Holz und Holzwerkstoffe gehören – neben anderen Bauprodukten wie Bodenbelagsklebern, Kunstharzputzen oder Silikonabdichtungen − zu den Innenraumprodukten, die Essigsäure ausdünsten können. Bei Holz und Holzwerkstoffen ist die Säure jedoch nicht zugesetzt, sondern entsteht dadurch, dass Hemicellulosen – holzeigene Inhaltsstoffe – mit Wasser reagieren. Durch die Holzbearbeitung wird unter dem Einfluss hoher Temperaturen (z. B. beim Trocknen oder Dämpfen von Holz) verstärkt Essigsäure freigesetzt. Da Laubhölzer wie Eiche oder Buche einen höheren Anteil an Hemicellulosen als Nadelhölzer aufweisen, lassen sich hier i. d. R. auch höhere Essigsäure-Emissionen messen (mehr zum Thema holzeigene Emissionen finden Sie hier).
Beschränkungen für Essigsäure in der Innenraumluft
Essigsäure kann Kopfschmerzen auslösen und in größerer Konzentration Augen, Haut und Schleimhäute reizen. Daher hat der Ausschuss für Innenraumrichtwerte (AIR) Essigsäure (oder auch Ethansäure genannt) 2023 in seine Liste der Innenraumrichtwerte aufgenommen. Für den Vorsorgerichtwert (RW I) gilt eine Konzentration von 1.300 µg/m³ (der RW I beschreibt die Konzentration eines Schadstoffs in der Innenraumluft, bei deren Einhaltung oder Unterschreitung nach gegenwärtigem Forschungsstand auch bei lebenslanger Exposition keine gesundheitliche Beeinträchtigung zu erwarten ist). Für den Gefahrenrichtwert (RW II), bei dessen Überschreitung unverzüglich zu handeln ist, beträgt die Konzentration 3.700 µg/m³. Für Essigsäure existiert außerdem ein sog. NIK-Wert („niedrigste interessierende Konzentration“) – ein toxikologisch abgeleiteter Richtwert für VOC-Einzelstoffe in der Innenraumluft − von 1.200 µg/m³. Unterhalb des NIK-Werts geht man von einer gesundheitlichen Unbedenklichkeit aus.
Bisherige Bewertung von Essigsäure beim eco-INSTITUT-Label
Im Rahmen der eco-INSTITUT-Label-Zertifizierung werden die Produkte umfangreichen Schadstoffuntersuchungen unterzogen. Dazu gehören auch Emissionsprüfungen, für die die Produkte in Prüfkammern – kleine Räume aus Glas oder Edelstahl, die einen realen Innenraum simulieren − bis zu 28 Tage lang bei einem definierten Raumklima gelagert werden. Die Produktemissionen werden i. d. R. nach 3 und 28 Tagen gemessen. Die standardisierten Analysen erfassen dabei auch die Essigsäure, die bislang im Rahmen des TVOC – dem Summengrenzwert für alle VOC − bewertet wurde. Dieser strenge Anforderungswert von 300 µg/m³ 28 Tage nach Prüfkammerbeladung wurde in der Vergangenheit von Holzprodukten, die das eco-INSTITUT im Rahmen seiner Zertifizierungen geprüft hat, gelegentlich infolge leicht erhöhter Essigsäure-Konzentrationen überschritten. Die Essigsäure-Emission ist für die Produkthersteller aufgrund von Herkunft und Aufbau der Ausgangsmaterialien zum Teil schwierig zu kontrollieren.
Neue Anforderungswerte beim eco-INSTITUT-Label
Da das eco-INSTITUT auch weiterhin den nachwachsenden Baustoff „Holz“ trotz natürlicher Schwankungen in der Essigsäure-Emission zertifizieren möchte, hat es unter Abwägung gesundheitlicher und ökologischer Aspekte folgende neuen Anforderungen definiert: Wenn der TVOC-Anforderungswert nach 28 Tagen von 300 µg/m³ aufgrund einer gemessenen Essigsäure-Konzentration überschritten wird, gilt ein Anforderungswert von 350 µg/m³ für Essigsäure nach 28 Tagen. Zudem bleibt die Essigsäure-Konzentration bei der Bewertung des TVOC nach 28 Tagen dann unberücksichtigt, wird also separat vom TVOC-Anforderungswert erfasst und bewertet. Diese Ausnahmeregelung gilt allerdings nur, wenn plausibel ist, dass die Essigsäure als sekundäre Emission aus den Holzkomponenten abgegeben wird – d. h. die Essigsäure darf dem Produkt nicht als Inhaltsstoff zugesetzt sein.
Der Anforderungswert von 350 µg/m³ für Essigsäure liegt weit unter dem AIR-Vorsorgerichtwert sowie dem NIK-Wert. Das eco-INSTITUT hat den „Sicherheitspuffer“ auch deshalb so groß gewählt, da bei der üblichen VOC-Prüfkammermessung gem. ISO 16000-6 (sog. TENAX-Verfahren) aufgrund spezifischer analytischer Bedingungen bei der Essigsäure höhere Messunsicherheiten bestehen und im schlechten Falle Minderbefunde von ca. 50 % möglich sind, d. h. die reale Konzentration der Essigsäure weist doppelt so hohe Werte auf. Eine Messung der Essigsäure gem. VDI 4301 Blatt 7 wäre genauer, das eco-INSTITUT hat sich aber gegen diese zusätzliche Analytik im Rahmen der eco-INSTITUT-Label-Zertifizierung entschieden. Die Zertifizierung würde dadurch teurer und gleichzeitig wäre der Nutzen nur begrenzt, da die Möglichkeit eines Minderbefunds schon bei der Festlegung des Anforderungswerts berücksichtigt wurde.
Mit dem neuen Bewertungskonzept der Essigsäure folgt das eco-INSTITUT auch grundsätzlich der Argumentation des natureplus®-Qualitätszeichens, das 2022 seine Anforderungen bzgl. Essigsäure geändert hat.
Text: Wissen in Worten – Karin Roth
Bild: e_stamm | Pixabay, eco-INSTITUT Germny GmbH